Hutiaconga

Hutiaconga

Hutiaconga (Capromys pilorides)

Systematik
Unterordnung: Stachelschweinverwandte (Hystricomorpha)
ohne Rang: Meerschweinchenverwandte (Caviomorpha)
Familie: Stachelratten (Echimyidae)
Unterfamilie: Baumratten (Capromyinae)
Gattung: Capromys
Art: Hutiaconga
Wissenschaftlicher Name der Gattung
Capromys
Say, 1822
Wissenschaftlicher Name der Art
Capromys pilorides
Desmarest, 1822

Die Hutiaconga, auch Greifschwanz-Ferkelratte oder Kuba-Baumratte, (Capromys pilorides) ist eine Art der Nagetiere innerhalb der Familie der Stachelratten (Echimyidae). Es ist der bekannteste und häufigste Vertreter aus der Unterfamilie der Baumratten (Capromyinae) und gehört mit einer Kopfrumpflänge von mehr als 60 Zentimetern und einem Gewicht von bis zu sieben Kilogramm weltweit zu den größten Nagetierarten. Seine Verbreitung ist auf die Kuba und die umliegenden Inseln begrenzt, sodass sie endemisch für den Inselstaat Kuba ist.

Merkmale

Hutiacongas gehören zu den größten Arten der Nagetiere.[1] Sie ähneln in ihrem Aussehen großen, dickköpfigen Ratten. Sie erreichen eine Kopfrumpflänge von 30 bis 62,5 Zentimetern und das Gewicht ausgewachsener Tiere beträgt im Regelfall mehr als drei Kilogramm bis zu etwa sieben Kilogramm.[2] Der Schwanz wird etwa 13 bis 31,5 Zentimeter lang und erreicht damit etwa 50 % der Kopfrumpflänge.[3][2] Der Körper ist kräftig, der Kopf ist breit und die Schnauze nach vorne abgestumpft. Die Augen und Ohren sind relativ klein.[4]

Ihr dichtes, langes und raues Fell variiert in der Färbung von weißlich-grau über rotbräunlich und dunkelbraun bis fast schwarz. Dominierend sind drei Fellfarben, die als „agouti“, „furnieri“ und „mandinga“ bezeichnet werden. Agouti bezeichnet dabei eine blassbraune bis rotbraune Färbung, Furnieri bezeichnet Tiere mit einer weißlich-grauen Färbung vor allem des Kopfes und der Brust und als Mandinga werden fast schwarze Tiere bezeichnet.[4] Die Bauchseite ist generell etwa heller als die Rückenseite. Die einzelnen Deckhaare sind glatt und gerade; sie haben im Allgemeinen ein braunes Band, das in Intensität und Ausdehnung variiert und die Vielfalt der Agouti-Färbung bestimmt. Ein Zusammenhang der Färbung mit dem Geschlecht oder Alter besteht nicht.[4] Die Beine sind relativ kurz mit breiten Füßen. Die Zehen sind mit Ausnahme des rückgebildeten rudimentären Daumens mit gut ausgebildeten Krallen versehen. An den Hand- und Fußsohlen befinden sich markante postdigitale Höcker, die Sohlen der Hinterfüße sind dunkelbraun bis schwarz.[3][4] Der Schwanz besitzt kurze Haare mit bräunlich-orangen oder dunklen Farbtönen und schuppige Ringe, die zum distalen Ende des Schwanzes hin kleiner werden.[4]

Von allen anderen ebenfalls auf Kuba vorkommenden Arten der Baumratten unterscheidet sich die Hutiaconga vor allem durch ihre Größe. Alle Arten mit Ausnahme der Huitaconga sind deutlich leichter als drei Kilogramm. Zudem hat die Huitaconga im Vergleich zu den anderen Arten den im Verhältnis zum Körper kürzesten Schwanz, der bei den anderen Arten eine Länge von etwa 70 % der Kopfrumpflänge erreicht.[3]

Verbreitung

Hutiacongas leben ausschließlich in Kuba und kommen auf der Hauptinsel und mehreren weiteren vorgelagerten Inseln wie der Isla de la Juventud und anderen Inseln des Kuba vorgelagerten Canarreos-Archipel, den Jardines de la Reina und dem Sabana-Camagüey-Archipel vor.[5] Nachgewiesen sind die Tiere an mehr als 190 Fundorten auf Kuba und Isla de la Juventud sowie auf mehr als 120 Inseln des kubanischen Archipels.[6] Sie kommen in unterschiedlichen Lebensräumen vom Meeresspiegelniveau bis in Höhenlagen etwa 1200 Metern im Osten der Hauptinsel vor.[6]

Historisch sind durch Fossilien aus dem später Quartär auch Vorkommen auf den Cayman Islands dokumentiert.

Lebensweise

Hutiacongas sind in Kuba weitverbreitet und bewohnen eine Reihe von Lebensräumen, darunter Gebirgswälder, trockene Küstenebenen und gebirgige Regionen. Im Norden der Insel sind die Tiere eher Baumbewohner, die auch auf Bäumen schlafen, während sie im Süden der Insel eher terrestrisch sind und Felshöhlen als Unterschlupf bevorzugen. Sie können generell gut klettern und bewegen sich sicher im Geäst der Bäume. Auf dem Boden bewirken die Beine der Tiere einen wackelnden Gang, trotzdem können sie im Bedrohungsfall schnell laufen. Sie sind tagaktiv und leben in Paaren oder kleinen Gruppen zusammen. Zum Sozialverhalten der Tiere zählt unter anderem die gegenseitige Fellpflege.

Die Tiere kommen sympatrisch mit mehreren weiteren Arten der Baumratten vor. Ihr Verbreitungsgebiet überschneidet sich in Teilen mit denen der Gemeinen Langschwanzhutia (Mysateles prehensilis), der Langohr-Baumratte (Mesocapromys auritus), die Zwergbaumratte (Mesocapromys nanus), der Cabrera-Baumratte (Mesocapromys angelcabrerai) und der Schwarzschwanz-Baumratte (Mesocapromys auritus).[3][2]

Ernährung

Kuba-Baumratte in der Wilhelma Stuttgart

Hutiacongas sind Allesfresser mit einer vornehmlich pflanzlichen Ernährung, neben Blättern, Rinde und Früchten nehmen sie jedoch auch Insekten und kleine Wirbeltiere wie beispielsweise kleine Eidechsen zu sich.

Fortpflanzung

Die Tiere sind polygyn, die Männchen verpaaren sich also mit mehreren Weibchen.[1] Sie können sich das ganze Jahr über fortpflanzen, der Höhepunkt der Geburten liegt jedoch im Frühsommer. Die Tragzeit liegt bei rund 110 bis 140 Tagen, die Wurfgröße liegt zwischen eins und drei, in Ausnahmefällen bis zu sechs. Jungtiere werden mit Fell und offenen Augen geboren, sie sind Nestflüchter. Sie werden rund fünf Monate lang gesäugt und erreichen die Geschlechtsreife mit rund 10 Monaten. Die Lebenserwartung wird auf acht bis elf Jahre geschätzt.

Systematik

Die Hutiaconga ist die einzige Art der Gattung Capromys innerhalb der Baumratten (Capromyinae). Die Art wurde 1822 von dem amerikanischen Naturforscher Thomas Say wissenschaftlich beschrieben, der sie in eine eigene Gattung mit dem Namen Isodon als Isodon pilorides einordnete.[7][2] Der Gattungsname Isodon wurde allerdings für ungültig erklärt, da der französische Naturforscher Étienne Geoffroy Saint-Hilaire bereits 1817 die Kurznasenbeutler, eine Gattung der Beuteltiere als Isoodon beschrieben hatte. Im gleichen Jahr wie Say beschrieb allerdings auch der Franzose Anselme Gaëtan Desmarest den Hutiaconga unter dem Namen Capromys furniere, sodass der britische Zoologe George Robert Waterhouse im Jahr 1848 die von Desmarest gewählte Gattungsbezeichnung mit der von Say gewählten Artbezeichnung verband und so den noch heute gültigen wissenschaftlichen Namen der Art, Capromys pilorides, bildete. Er korrigierte zudem die Schreibweise von Desmarests Art Capromys fourniere und ordnete sie als Synonym ein.[1]

1899 beschrieb Eugène de Pousargues eine weitere Art der Gattung als Capromys geayi aus Venezuela, die 1901 von Frank Michler Chapman einer neuen Gattung Procapromys zugeschrieben wurde. Im Nachgang stellte sich heraus, dass das von Pousargues beschriebene Tier nicht korrekt zugeordnet war und es sich um ein junges Hutiaconga von der Insel Kuba handelte.[1] Weitere Synonyme der Art sind Capromys intermedius Arredondo de la Mata, 1958, Capromys megas Varona & Arredondo, 1979, Capromys arredondoi Varona, 1984, und Capromys pappus Varona, 1984, die von unterschiedlichen Fundorten in Cuba beschrieben wurden, jedoch nicht als eigenständige Arten anerkannt wurden.[1]

Molekularbiologische Untersuchungen aus dem Jahr 2017 legen nahe, dass es sich bei den Hutiacongas auf Kuba um zwei deutlich voneinander getrennten Populationen handelt. Die Tiere lassen sich entsprechend in eine östlich und eine westliche Population einordnen, deren Trennung vor wahrscheinlich 1,1 Millionen Jahren stattfand und damit die Trennung in zwei Arten nahelegt. Die westliche Gruppe umfasst dabei die Tiere im Westen der Hauptinsel Kuba und diejenigen auf der Isla de la Juventud und Cayo Cantiles, die östliche Gruppe besteht aus den Tieren östlich der Sierra del Escambray in Zentralkuba und schließt ebenfalls Inselformen mit ein.[8]

Innerhalb der Art werden gemeinsam mit der Nominatform drei[9] bis sechs Unterarten unterschieden, von denen eine ausgestorben ist:[1][2]

  • Capromys pilorides ciprianoi Borroto, Camacho & Ramos, 1992
  • Capromys pilorides doceleguas Varona, 1980
  • Capromys pilorides gundlachianus Varona, 1983
  • Capromys pilorides lewisi Morgan, MacPhee, Woods & Turvey, 2019
  • Capromys pilorides pilorides Say, 1822
  • Capromys pilorides relictus G. M. Allen, 1911

Wilson & Reeder 2005 beschrieb mit C. p. pilorides, C. p. doceleguas und C. p. relictus nur drei der genannten Unterarten,[9] während im Handbook of the Mammals of the World C. p. ciprianoi und C. p. gundlachianus als zusätzliche eigenständige Unterarten aufgeführt werden.[2] Die Unterart C. p. lewisi kam auf den Cayman Islands vor und ist wahrscheinlich um 1700 ausgestorben,[10] daher wird sie in den beiden vorgenannten und auf rezent vorkommenene Arten eingeschränkten Werken nicht dargestellt.

Etymologie

Der Gattungsname der Art ist latinisiert abgeleitet von dem griechischen „capro-“ für „Wildschwein“ und „-mys“ für „Maus“. Der Bezug zum Wildschwein ergibt sich durch das Aussehen der Tiere und vor allem die Erscheinung beim Laufen, die an Wildschweine erinnert. Der Artname wurde in der Kombination als Mus pilorides bereits 1778 von Peter Simon Pallas genutzt, der ihn bereits nicht mit dieser Art verband. Im kubanischen Spanisch werden die Tiere als „jutía conga“ bezeichnet.[11]

Bedrohung

Hutiacongas werden von der Weltnaturschutzunion IUCN in der Roten Liste gefährdeter Arten als nicht gefährdet („least concern“) eingestuft.[5] Sie sind die einzigen relativ häufigen Vertreter ihrer Familie. In manchen Regionen sind sie so häufig, dass sie als Plage betrachtet werden, da sie Felder und Plantagen verwüsten. Durch ein Gesetz sind sie geschützt, die Jagd auf sie ist lediglich in zwei oder drei Monaten des Jahres erlaubt.

Literatur

  • Hansel Caballero Silva, Carlos A. Mancina: Capromys pilorides (Rodentia: Echimyidae) Mammalian Species 55 (1027), 16. Mai 2023, sead002. doi:10.1093/mspecies/sead002
  • Desmarest’s Hutia. In: P.H. Fabre, J.L. Patton, Y.L.R. Leite: Family Echimyidae (Hutias, Coypu and South-American Spiny Rats) In: Don E. Wilson, T.E. Lacher, Jr., Russell A. Mittermeier (Hrsg.): Handbook of the Mammals of the World: Lagomorphs and Rodents 1. (HMW, Band 6) Lynx Edicions, Barcelona 2016, S. 594–595, ISBN 978-84-941892-3-4.
  • Ronald M. Nowak: Walker's Mammals of the World. 2 Bände. 6. Auflage. Johns Hopkins University Press, Baltimore MD u. a. 1999, ISBN 0-8018-5789-9.
Commons: Hutiaconga – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Capromys pilorides in der Roten Liste gefährdeter Arten der IUCN 2024. Eingestellt von: S.T. Turvey, R. Kennerley, 2020. Abgerufen am 1. September 2024.
  • Don E. Wilson & DeeAnn M. Reeder (Hrsg.): Capromys pilorides in Mammal Species of the World. A Taxonomic and Geographic Reference (3rd ed).

Belege

  1. a b c d e f Hansel Caballero Silva, Carlos A. Mancina: Capromys pilorides (Rodentia: Echimyidae) Mammalian Species 55 (1027), 16. Mai 2023, sead002. doi:10.1093/mspecies/sead002.
  2. a b c d e f Desmarest’s Hutia. In: P.H. Fabre, J.L. Patton, Y.L.R. Leite: Family Echimyidae (Hutias, Coypu and South-American Spiny Rats) In: Don E. Wilson, T.E. Lacher, Jr., Russell A. Mittermeier (Hrsg.): Handbook of the Mammals of the World: Lagomorphs and Rodents 1. (HMW, Band 6) Lynx Edicions, Barcelona 2016, S. 594–595, ISBN 978-84-941892-3-4.
  3. a b c d „Distribution“ In: Hansel Caballero Silva, Carlos A. Mancina: Capromys pilorides (Rodentia: Echimyidae) Mammalian Species 55 (1027), 16. Mai 2023, sead002; S. 3. doi:10.1093/mspecies/sead002.
  4. a b c d e „General Characters“ In: Hansel Caballero Silva, Carlos A. Mancina: Capromys pilorides (Rodentia: Echimyidae) Mammalian Species 55 (1027), 16. Mai 2023, sead002; S. 3–5. doi:10.1093/mspecies/sead002.
  5. a b Capromys pilorides in der Roten Liste gefährdeter Arten der IUCN 2024. Eingestellt von: S.T. Turvey, R. Kennerley, 2020. Abgerufen am 1. September 2024.
  6. a b „Distribution“ In: Hansel Caballero Silva, Carlos A. Mancina: Capromys pilorides (Rodentia: Echimyidae) Mammalian Species 55 (1027), 16. Mai 2023, sead002; S. 5. doi:10.1093/mspecies/sead002.
  7. Thomas Say: On a quadrup, belonging to the order Rodentia. Proceedings of the Academy of Natural Sciences of Philadelphia 2, 1822; S. 330–343.
  8. Nathan S. Upham, Rafael Borroto-Páez: Molecular phylogeography of endangered Cuban hutias within the Caribbean radiation of capromyid rodents. Journal of Mammalogy 98(4), 2017; S. 950–963. doi:10.1093/jmammal/gyx077.
  9. a b Don E. Wilson & DeeAnn M. Reeder (Hrsg.): Capromys pilorides in Mammal Species of the World. A Taxonomic and Geographic Reference (3rd ed).
  10. Gary S.Morgan, Ross D. E. MacPhee, Roseina Woods, Samual T. Turvey: Late Quaternary fossil mammals from the Cayman Islands, West Indies. Bulletin of the American Museum of Natural History 428, 2019; S. 1–82. doi:10.1206/0003-0090.428.1.1 (via BioOne).
  11. „Nomenclatural Notes“ In: Hansel Caballero Silva, Carlos A. Mancina: Capromys pilorides (Rodentia: Echimyidae) Mammalian Species 55 (1027), 16. Mai 2023, sead002; S. 3. doi:10.1093/mspecies/sead002.